Lesung mit Julia Veihelmann

Termin: Dienstag, 30. August 2022

Zeit: 19:30 Uhr

Ort: Spielkartenfabrik

Abendkasse: 5 Euro/ermäßigt 3 Euro

Info und vorbestellen: haus@speicheramkatharinenberg.de

#juliaveihelmann @speicherhausfuer

Julia Veihelmanns drittes Buch „Der dritte Versuch“ erzählt von einem, der die Spielregeln durchschaut und dem es doch nicht gelingen will, sie zu manipulieren.

Verschiedene Versuche hat Vincent schon unternommen: Er wollte Historiker werden, er wollte auf Umwegen eine Familie gründen. Seine Partnerin hat er zur Scheinehe mit seinem besten Freund überredet und lebt nun mit den beiden in einem fragilen Arrangement zusammen. Dann trifft er, Sohn reicher Uhrenfabrikanten, die Entscheidung, nicht mehr privilegiert sein zu wollen: Er gibt sein Erbe zurück, hört mit dem Trinken auf und wendet sich der Arbeitswelt zu wie einer Mutprobe, im vollen Bewusstsein, dafür nicht gewappnet zu sein.

Leseprobe:

Er hatte schon den ganzen Abend auf sie gewartet. Er rutschte auf dem dunkelgrünen Kunstleder vor und zurück und versuchte, sich vorzustellen, wie er vom Tresen aus gesehen wirkte, ein Trinker, in der nächstbesten Nische verkrochen, hat sich in jungen Jahren älter gesoffen und kontempliert zwischen seinen Ellbogen (richte dich auf, Vincent, sagte er sich und straffte den Rücken). Er trank auf einen erfolgreichen Abend im Wechsel Rotwein und Gin Tonic, und kam in jenes Stadium der Betrunkenheit, in dem man meint, durch die pathetischen Gefühlswallungen hindurch besonders klar und gestochen scharf denken zu können; in dem man tatsächlich einige der Hemmnisse, die dem Denken sonst entgegenstehen, losgeworden ist, wenn dafür auch anderes an Kontur eingebüßt hat; in diesem Stadium dachte er kurz über die eigene Attraktivität nach, für sie da am Tresen mochte er aussehen wie ein Dämonenkämpfer oder eine Figur bei Hemingway, wie Hemingway selbst. Immer, wenn er verstohlen nachsah, ob sie ihn wohl beobachtete, war sie eindeutig mit etwas anderem beschäftigt; vielleicht sah er nicht oft genug nach.

 

Julia Veihelmann ist Jahrgang 1984, in Stuttgart geboren. Sie studierte zunächst am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, danach begann sie Chinesisch zu lernen und schloss ein Studium der Sinologie an – den Bachelor machte sie in Berlin, den Master in Bochum und in Taipei. Nachdem sie lange in verschiedenen Jobs tätig war, etwa acht Jahre als Reisekostenprüferin, ist sie inzwischen selbständig und kann zwar nicht vom Schreiben, aber zumindest von der Textarbeit leben: Sie übersetzt und textet, liest Korrektur und lektoriert. Literarische Publikationen: „Unterkunft“ (Roman, Braumüller 2013) und „Die Grundprinzipen der Navigation“ (Erzählungen, Reinecke & Voß 2014); „Der dritte Versuch“ (Roman) erschien als „verlegtes Manuskript“, publiziert von der Autorinnengruppe Brother VRLG. Aktuell ist wieder ein Roman in Arbeit: „Die Lakaien“, eine Satire um einen alten Therapeuten und seinen Assistenten, der bei ihm in die Lehre geht. Daneben übersetzt sie Erzählungen den postmodernen Autors Ma Yuan ins Deutsche, die 2023 unter dem Titel „Drei Arten, Papierdrachen zu falten“ beim MDV erscheinen sollen.